Abtswinds Abwehrmann wird zum leuchtenden Mittelpunkt und sieht sich geläutert
TG Höchberg – TSV Abtswind 0:1 (0:0)
Es war ein Experiment, das sich auf Anhieb bewährte. Auf dem kleinen Höchberger Kunstrasenfeld formierte Abtswinds Trainer Petr Skarabela seine Mannschaft neu. 3-5-2 hieß die Zauberformel. Drei Verteidiger genügten, um den Gegner vom Tor fernzuhalten. Einer von ihnen gefiel dem Coach so gut, dass er ihn zum besten Mann auf dem Platz ausrief.
Samstagmorgen bekamen Abtswinds Abwehrspieler einen überraschenden Anruf. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ihr Trainer. Petr Skarabela hatte eine fixe Idee und wollte sich bei seinen Schützlingen vergewissern. Der erfahrene Übungsleiter trug sich mit dem Gedanken, kurzfristig sein System umzukrempeln. In den Stunden vor der Landesligapartie bei der TG Höchberg hatten sich die Vermutungen im Abtswinder Lager bestätigt, dass nur auf dem Nebenplatz gespielt werden könne, dass der Hauptplatz nach dem anhaltenden Regen der vergangenen Tage gesperrt war. Was man dabei wissen muss: Die Ausweichstätte in der Würzburger Vorstadt ist von Kunstrasen überzogen, außerdem deutlich kürzer und schmaler als andere Fußballflächen. Skarabela schwebte deshalb vor, die Abwehrkette um ein Glied zu verkürzen, statt der gewohnten vier Verteidiger nur drei aufzustellen. „Der Trainer hat gefragt, ob wir uns das zutrauen“, sagte Adrian Graf, der für das Zentrum vorgesehen war, flankiert von Carl Murphy und Przemyslaw Szuszkiewicz. Es war ein Wagnis, das sie miteinander eingingen. Noch nie zuvor hatten sie das 3-5-2-System gemeinsam trainiert. „Vor dem Anpfiff habe ich es an der Taktiktafel erklärt. Das war pures Risiko“, sagte Petr Skarabela. „Doch die Jungs sind intelligent und haben das schnell verinnerlicht.“
Zumal Graf, Murphy und Szuszkiewicz allesamt erfahrene, höherklassig geprüfte Leute sind. „Dann kann man das auch spielen“, stellte Graf fest. „Der Trainer hat alles richtig gemacht.“ Skarabelas Plan war, einen Abwehrmann zu opfern, um in der Vorwärtsbewegung Überzahl zu schaffen und so die Erfolgschancen zu erhöhen. Neben den beiden Stürmern schalteten sich vier weitere Akteure ins Angriffsgeschehen ein. Geballte Offensivkraft also. „Ich war überrascht, dass das System so gut funktioniert hat“, gab der Trainer zu, der die Tüchtigkeit der Defensive daran maß, dass der Gegner lediglich einmal ernsthaft zum Abschluss gekommen war, als Höchbergs Tobias Riedner mit einem Distanzschuss Torhüter Florian Warschecha hechten ließ (43. Minute). Abtswind schmückte sich mit einer neuen Kette, und Adrian Graf war ihr brillant glänzender Anhänger. „Er war der beste Mann auf dem Platz“, sagte Petr Skarabela voller Anerkennung. „Er hat alles abgeräumt und mit seinen Nebenleuten gut funktioniert.“ Klar, dass sich der 24-Jährige geschmeichelt fühlte, ohne dabei die Vergangenheit zu vergessen. Bei seinem letzten Spiel auf Kunstrasen Anfang des Jahres hatte er für ein Foul die Rote Karte gesehen und war fünf Spiele gesperrt worden. Die Zeit nutzte er zum Nachdenken. „Ich bin in mich gegangen und habe mich gefragt, ob es gut ist, was ich mache“, sagt Graf über sein emotionales und hitziges Verhalten auf dem Platz. „Ich habe mich in der Zwischenzeit verändert. Heute bin ich ruhiger und gelassener und habe dadurch das Gefühl, dass mich das auch im Spiel besser macht.“
Abtswinds Jürgen Endres (links) geht mit dem Höchberger Yanik Unger in den Nahkampf.
Mit Tobias Riedner, Höchbergs Auffälligstem, lieferte sich Graf packende Zweikämpfe, in aller Regel mit dem besseren Ausgang für den Abtswinder. Auch das war eine Eigenart des kurzen Platzes: Es ging zügig hin und her. Ein Abschlag, ein weiter Pass – so ließ sich von ganz hinten ganz nach vorne kommen. Im ersten Durchgang lief der Ball wie die Kugel in einem Flipperautomaten. Irgendwo blieb sie immer hängen. Die Ballverluste machten die Begegnung zappelig. Abtswind versuchte immer wieder, das Leder durch die engen Lücken zu stecken. Immer wieder kam ein gegnerischer Fuß dazwischen. So blieben die Chancen überschaubar. Nur als Jürgen Endres durchkam – Nicolas Wirsching hatte von der Brust abtropfen lassen–, musste Höchbergs Schlussmann Tobias Weihs eingreifen (9.). Schnell war klar: Abschießen wie im Hinspiel, als Abtswind 5:0 siegte, ließ sich die TGH diesmal nicht. Sie hatten gelernt, die mit „Red Bull gedopten Eichhörnchen“, wie die Hausherren im eigenen Stadionmagazin tituliert wurden, weil sie zuletzt drei Siege in Serie geholt und sich vom letzten Tabellenplatz verabschiedet hatten. „Wir haben einen Entwicklungssprung gemacht“, sagt Trainer Thomas Kaiser, der vor den Toren Würzburgs augenscheinlich Zeit und Ruhe bekommt, eine junge Mannschaft zu formen, ohne bei Misserfolgen gleich vom Hof gejagt zu werden.
In der spielerisch aufgewerteten zweiten Hälfte hielt sein Team mit, war gleichwertig und wurde dadurch leichtsinnig. Kaiser erkannte die Vorzeichen. „Wir haben in der Phase sehr offensiv gedacht, waren gut im Spiel und wollten zu viel. Dabei haben wir die Defensive vergessen“, analysierte der 38-Jährige. Für den entscheidenden Gegentreffer zum 0:1 machte er eine schlechte Verteidigungsaktion verantwortlich: Da nämlich konnte Abtswinds Thilo Wilke dynamisch über rechts vorstoßen, ohne Gegenwehr nach innen passen und Steffen Barthel bedienen. Im Gewirr verzögerte der 21-Jährige zunächst den Abschluss, um dann doch trefflich zu schießen, als die Gegenspieler verladen waren (63.). Die Vorteile der Gäste zeigten sich gerade in den guten Möglichkeiten, die nach der Pause häufiger wurden. Carl Murphy und Peter Mrugalla besaßen zuvor in der 49. Minute die Doppelchance: Der eine scheiterte am Keeper, der andere zielte zu hoch. Nicolas Wirsching, der durch die umgestellte Abwehr an seinem 24. Geburtstag weit nach vorne gerutscht war, wusste diesmal nicht so recht, wie er das Tor treffen sollte. Erst verzog er in aussichtsreicher Lage (65.), dann lief er sogar alleine auf Schlussmann Weihs zu und scheiterte (90.+2). Es war nicht der einzige Vorstoß, den Abtswind in den Schlussminuten vergab. Doch das knappe Ergebnis blieb – und damit die Erkenntnis um das Neue im Spiel: „Die Dreierkette ist vielleicht ein Modell für die Zukunft, so dass wir zwischen zwei Systemen wechseln können“, sagte Petr Skarabela.
Michael Kämmerer
Reingekniet: Der Abtswinder Thilo Wilke (links) gibt alles, um den Ball vor Höchbergs Julian Hippacher zu erreichen.
Das Spiel in der Statistik
TG Höchberg: Tobias Weihs – Jeffrey Karl, Yanik Unger, Christian Ettinger, Julian Hippacher – Jens Fromm, Christoph Schiebel, Tristan Schmid, Tim Popp (82. Ramon Schmitt) – Alexander Priesnitz, Tobias Riedner.
TSV Abtswind: Florian Warschecha – Carl Murphy, Adrian Graf, Przemyslaw Szuszkiewicz – Jonas Wirth, Jürgen Endres, Thilo Wilke, Frank Hartlehnert (73. Jona Riedel), Nicolas Wirsching – Steffen Barthel (84. Jörg Otto), Peter Mrugalla.
Schiedsrichter: Christoph Stühler (Heroldsbach); Assistenten: Lukas Schmidt (Neuses), Karl-Heinz Kratz (Adelsdorf).
Zuschauer: 220.
Gelbe Karten: Tim Popp, Jens Fromm (Höchberg); Przemyslaw Szuszkiewicz (Abtswind).
Tor: 0:1 Steffen Barthel (63.).
Stimmen zum Spiel
Petr Skarabela (Trainer TSV Abtswind): „Nach dem Spielverlauf war es ein verdienter Sieg. In den letzten Minuten hatten wir drei riesige Möglichkeiten. Die Konter wurden schlecht ausgespielt. Man zittert dann bis zum Schluss. Gerade auf dem kleinen Platz kann mit einem langen Ball alles passieren. Der Gegner hat wie eine Schablone gespielt: weiter Pass auf Tobias Riedner, der verlängert, und von der Seite kommen zwei Leute. Da kann es schon mal gefährlich werden. Wir haben aber fast nichts zugelassen. Mit unserer spielerischen Klasse haben wir das Spiel gewonnen, auch wenn es auf dem Platz schwer war, den Ball laufen zu lassen. Wir haben versucht, über außen nach vorne zu kommen, obwohl das bei der Enge richtig schwer war. Höchberg ist eine kämpferische Truppe und hat robuste Leute. Da blieb uns kein Platz zum Zaubern.“
Thomas Kaiser (Trainer TG Höchberg): „Es war ein gutes Spiel von beiden Mannschaften. Die technisch höhere Qualität lag bei Abtswind. Das war keine Überraschung. Mit unseren Mitteln und Möglichkeiten haben wir den Gegner bekämpft. Mit einem 0:0 wäre ich zufrieden nach Hause gegangen. Das wäre heute das leistungsgerechte Ergebnis gewesen. Wir haben einmal schlecht verteidigt, einmal zu viel riskiert. Das wurde gnadenlos ausgenutzt. Das macht es für uns bitter, denn unsere Leistung war gut. Beide Mannschaften hatten sich auf den Platz eingestellt. Wir hatten nicht viele zwingende Chancen, aber in der Entwicklung und im Spiel nach vorne waren wir gefährlich. Abtswind hat vieles im Keim erstickt oder in letzter Sekunde verteidigt. Wir wollten möglichst lange das 0:0 halten und Nadelstiche setzen. Das ist uns über weite Strecken gelungen.“
Adrian Graf (Abtswinder Abwehrrecke): „Es war ein intensives Spiel. Auf dem kleinen Platz hat es uns Höchberg nicht leicht gemacht. Unter diesen Umständen haben wir uns stark präsentiert. Unsere Dreierkette hat ohne Training super funktioniert. Wir standen sicher. Die Außenspieler haben gut nach hinten gearbeitet und uns unterstützt. Ich bin gerne auf Kunstrasen. Der Platz kam der Mannschaft mit ihrer Technik entgegen. Technisch unterlegene Teams schlagen den Ball einfach nach vorne. Das kann auch mal seine Vorteile haben. Ich mag den technischen Fußball, wenn der Ball nicht verspringt und man schnell spielen kann. Und das, obwohl ich an mein letztes Kunstrasenspiel keine guten Erinnerungen habe: Im März habe ich für eine Rote Karte eine, wie ich finde, überzogen lange Sperre von fünf Spielen bekommen.“
Turm in der Schlacht: Abtswinds Carl Murphy.
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