Ruhepol im Meinungssumpf – oder wenn´s mal wieder lauter wird

Eine Hommage vom Schmierfink

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Modernes Theater bildet die Essenz der Völker ab. In Dramen und seichten Komödien stellen Darsteller signifikante, meist hehre Wesenszüge zur Schau, karikieren niedlich skurril von König Lea bis zum ständig verspäteten Herrn Godot Gesellschaftsschichten, Typen, eben alles, was uns höher entwickelte Säugetiere so ausmacht. Komplett in 3D, was Hollywoood selbst mit beträchtlichem, technischem Aufwand kaum lebensecht hinbekommt.

Wie der Bürohengst, der chronisch schlecht schläft und, wenn ihn doch einmal die Nachtruhe grüßt (herzhaft deftig „Servus Bursch“), zu allem Übel noch einen seltsam wirren Schmarren träumt, dass es eine wahre Freude ist. Gedankenbausteine türmen sich auf. Die letzte, pari ausgegangene Schlacht ums einsam verbliebene Haferla Muckefuck-Kaffee. Die peinliche Vorstellung der neuen Kollegin im Großraumbüro mit erfolgreich gestartetem Mobbing. Oder das letzte Schnittchen zur Frühstückspause. Alle Schnipsel verbinden sich diabolisch dadaistisch zu einem Gesamtbild. Schnittchen Schleicher, der unsichtbare Ninja mit der rosa Hose (so als Unsichtbarer kann man sowas schon mal tragen), der Extremist unter allen Räuterli-Fanatikern, also eben Mister Schleicher, Schnittchen Schleicher, tanzt schwerelos durch Traum und Zeit und irgendwann wacht man abrupt auf, um den fiesen Gehirnknoten zu entwirren.

Wie so oft, sieht die Realität ganz anders aus. Theater, vorwiegend moderne Klassiker, ist in etwa so nah am Leben wie naive Fingermalerei im Christ-Dementi-Stift für ehemals Golden Agers. Auf den Brettern, welche „die Welt bedeuten“, verschmelzen oft die schauerlichsten Gestalten, nicht gespielte Soziopathen, zu einem Pandämonium der besonderen Art. Eitle Schausteller, umgeben von überforderten Assistenten, genervte Maskenbildner (Königinnen an der Maurerkelle – quasi Pfund für Pfund glatt gestrichen auf die Schnelle), ausgebrannte Regisseure, gekrönt vom selbstgefälligen Produzenten arbeiten an etwas Schwammigem und heraus kristallisiert sich Kunst. Documenta Style, Nummer 5 mit Joseph Beuys auf 12 Runden gepflegten Boxkampf. Mit dünkelhaft voyeuristischem Publikum (die Kritiker-Stalker an vorderster Front) frei nach dem Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Derweil hastet der Steuerzahler im Winter / Sommerschluss-Happening von Schnäppchen zu Restpostenschnittchen, um mit seinem dekadent verschrienen Konsumverhalten den ganzen Kulturzirkus am Atmen zu halten. Ähnlich sinnvoll wie Arztpraxen. Man kommt hoffnungsvoll, um eine Krankheit loszuwerden und erhält als Gastgeschenk eine Handvoll aggressivere Keime per Tröpfchen Infusion, ganz bequem im Wartezimmer. Kein langes Anstehen oder Bitten. Da sag noch einer Servicewüste Deutschland.

Im gewohnten Lebensraum, also am Sitzungstisch, mit Stift und Vereinsbuch: Katharina Baumann

Seltsam gewandete Gestalten, krude, ländlich angehauchte Eigenheiten, Meinungsvielfalt wie auf einem orientalischen Basar. Sie wissen bereits, wohin uns das führt. Mitten hinein in eine Vorstandssitzung. Wenn sich die Funktionsträger des erweiterten Zirkels zum organisatorischen Plausch versammeln. Eines x-beliebigen Vereins, vorzugsweise mit sportlichem Anstrich.

Zentral im Chaos platziert, hebt sich eine Person deutlich von der Herde ab. Dem positiv strukturierenden Sinne nach. Die Schriftführerin. Ihr Einfluss reicht mindestens so weit, Regeln unter den Kollegen zirkulieren zu lassen, ohne die eine jede Sitzung unweigerlich in einen sinnlosen Disput zur sportlichen Lage abdriften würde. Gebote wie, Du sollst den Zeugen Jehovas nur bekleidet entgegen treten, Du sollst nicht trinken Deines Nachbarn Getränk, Du sollst freundlich sein, sobald der Lotto-Totto-Typ sein „Sie haben gewonnen!“ in die Leitung jauchzt. Das ist eine notwendige Basis menschlichen Miteinanders – vom Werbeanruf einmal abgesehen. Jene Telefongespräche brechen abrupt ab, sobald man sich als notorisch spielsüchtiger Harz-IV-Empfänger outet.

Im Nebenjob Anstandsdame, besteht die Hauptaufgabe in der Mitschrift. Penibel protokolliert die Schriftführerin Sitzungsergebnisse und dirigiert mit sanfter Hand ihre Vorstandskollegen in die richtige, weil zielführende Richtung. Ansonsten glänzt das Blatt mit royaler Blässe. In der Kakophonie ungehörter, da vielschichtig übertünchter Meinungsäußerungen ordnet sie per Protokoll, erinnert an Tagesordnungspunkte oder erwähnt die schlichte Tatsache, ein jeder müsse am nächsten Morgen wieder auf die Arbeit.

Eine weltgeschichtlich bedeutsame Vorstandssitzung richtet sich kaum einmal nach ethischen Gesichtspunkten, eher nach Murphy´s Law. Wie beim modernen Fußball: Schönspielerei ist bestenfalls attraktiv, verliert jedoch oftmals den eigentlich angestrebten Titel. Statistisch gesehen gewinnen die Effektivsten häufig, einfach weil sie, während der Gegner CR7-Pirouetten fabelhaft hoher Haltungsnoten fabriziert, den Ball trocken ins Netzige wummern. Schlicht, schnörkellos, „rin mit die Kirsche“.

v.l.n.r.: Christoph Kniewasser (Stell. Vorsitzender), Katharina Baumann (Schriftführerin) und Tobias Fink (Kassenwart)

Zurück zum Chaos. Mitten hinein ins Stimmengewirr. Meinungsvielfalt kann so lähmend sein. In diesen Augenblicken zückt die Schriftführerin ihr schärfstes Werkzeug, den Kugelschreiber, deutet unmissverständlich auf den Vorsitzenden, gemahnt ihn an seine, von ihr übertragene, zeitlich limitierte Ordnungspflicht. Donnerwetter. Vorstandsgrollen. Und für eine angenehme, wenn auch kurze Periode kann konstruktiv geschafft werden.

Im Anschluss ans viel zu wichtig genommene Sitzungsgedöns beginnt die eigentliche Tätigkeit. Alles Verwertbare in verständliche Form gießen und nachkommenden Generationen zu hinterlassen. Der Weisheit letzter Schuss, sozusagen. Das Protokoll. Hinzu kommt noch notwendiger Schriftkram, sich mit Behörden, Ämtern schriftlich duellieren, sowie – weit angenehmer – bei gegebenem Anlass Mitgliedern, Freunden, Gönnern Glückwünsche auszusprechen. Mit präsent, selbst ausgewählt. Gerade aus letztgenanntem Grund besetzen oftmals Frauen dieses Ehrenamt. Ein Mann ist für solche Tätigkeit kaum zu gebrauchen. Da besteht das Präsent zum runden Jubeltag gerne mal aus dem obligatorischen Kasten Bier. An irgendeiner Stelle würden Sitzungen stets handfest ausaten. Diese Bilder kennt man aus dem ukrainischen Parlament.

Vielleicht war es von Anfang an der Kardinalsfehler, als wir das Affenrudel verließen und begannen, aufrecht durch die Savanne zu spazieren. Unser Urahn ließ animalisch bewährte Hierarchien zurück und betrat das Abenteuer selbstständigen Denkens. Angesichts der heutigen Bevölkerungsexplosion auf etwas mehr als 7 Milliarden stellen sich zumindest 2 drängende Fragen: Wie kann man eine solche Massenansammlung halbwegs geordnet organisieren? Beziehungsweise, wie beseitigen wir den Rest? Deshalb tagt die Vollversammlung inklusive aller Beisitzer nur zu homöopathischen Gelegenheiten. Wer schnell zu Pötte kommen will, reduziert diese Treffen auf ein nerven schonendes Maß nahe Null. Und wenn´s mal wieder lauter wird, hilft Freund Alkohol.

Auch der letzte Prosecco der Sitzung konnte mir jedoch nicht erklären, warum die Welt, explizit meine Vorstandskollegen, so schwierig sind, meinte aber, der nächste Schnaps wüsste Bescheid. Oft hilft einfach nur ein Kurzer, 4 Cl on the rocks tun es auch. In Reihe geschaltet. Der sogenannte Thekenmeter. Allerdings hilft das nicht immer. Manchmal muss man einfach einen Schlussstrich ziehen. Endgültig. Mit Kreide. Um den Körper herum.

In diesem Sinne,

Euer Schmierfink