Man hat es nicht leicht, als Nikolaus, in diesen Zeiten
Der Schmierfink zum Thema Mode, Geschenkkultur und Ritalin im Hausgebrauch
Landauf, landab sind wir uns, so als Spezies betrachtet, in wenigen Punkten einig. Den geflügelten Spruch von 3 Israeliten mit 4 Meinungen könnte man problemlos auf viele andere Nationalitäten umdichten. Bei einer simple Wahrheit jedoch gehen wir alle konform: Wir sind die Krone der Schöpfung, der King im Ring. Wir sehen uns als Nonplusultra im weiten Erdenrund.
Gut, der Gepard ist schneller, vorzugsweise auf Savannengrund. Die Giraffe hat den längsten Hals, wenn man vom Edelfan einmal absieht, dessen Team gerade per Neunschwänziger mit eingeflochtenen Angelhaken malträtiert wurde. Unser höheres Wesen steht also an der Spitze. Per se, per Dekret bis perfide, per Akklamation perfekt. Der Hintergrund tut nichts zur Sache. Ich hingegen bin der Ansicht, es existiert ein weiteres Wesen, das oberhalb des Menschen angesiedelt ist: Der Nikolaus. Ob an der Weihnachtsfeuer, dem neutraleren Winterfest, an seinem Jubeltag, dem 06. Dezember selbst: Das Erscheinen ist nicht nur sprichwörtlich entscheidend.
Man ist froh, wenn er erscheint. Mundwinkel orientieren sich sofort himmelwärts. Oft sinkt man zudem ergeben auf die Knie, betet um die Erscheinung herum und geht dabei ganz nebenbei durchs Fegefeuer. Ähnlich wie beim Handwerker. Im antarktischen Winter. Wenn die nagelneue Heizung spinnt. Kommt der Fachmann bevor Schwiegermutter im Sessel einfriert? Zeigt er sich nach vollendetem Tagwerk halbwegs gnädig?
Allein durch seine optischen Autorität ist der Nikolaus von nebensächlichem Schnickschnack wie Termine einhalten, Pünktlichkeit und solchen zwangsneurotischen Symptomen befreit. „Rot macht Staat“ definierte die Omageneration „schick“. Aber auch „Weiß ist Scheiß“. Dementsprechend wandelt der Graubart mit 50er-jahre-Wohlstandsbauch auf einem ganz schmalen Grat. Den Sack lockend über der rechten Schulter platziert, begibt er sich – nach Ankündigung durch den Vorsitzenden und höflichem Szenenapplaus – mitten unter die aufgeregte Kinderschar. Im Pulk fallen Ritalin Kinder kaum mehr auf.
Früher war eh alles besser. Sobald sich die bärtige Lichtgestalt grollend bis begütert erkundigte „Warst auch immer schön brav?“ dann wurde pflichtschuldigst die Aussage verweigert. Oder nach Strich und Faden gelogen bis sich die jeweiligen Kindeseltern leise gruselnd ins dunkle Eck verzogen. Man kannte sich ja bestens im Vereinsleben. Vor allem die Störer, die Rabauken.
Seit 68er Verwirrung, antiautoritärer Kindesaufzucht mit grün ideologisch aufgezwungenem Glorienschein, Kinderdemos und der konsequenten Ausklammerung von allem, was im weitesten Sinne nach „Erziehung“ aussieht, ist der Job des Nikolaus auch nicht einfacher geworden. Mitten im vielstimmigen Kontrapiepsen, bei glockenhellen Wiederworten, Geschubse und Geschrei hilft auch der berühmt berüchtigte, aussagekräftige Seitenblick auf die roh behauene Haselrute kein Stück weiter. Sobald man droht „ich klopf dir die Flausen aus´m Frack, du Früchtchen“ steht augenblicklich das Jugendamt Spalier und sichtet Beweismittel. Kommen Sie den lieben Kleinen mal mit goldig saftigen, orangenen Mandarinen oder knackigen Nüsslein. „Ey, Alter, watt willste mit DEM Mist?“
Das eigentliche Problem heute besteht darin, dass herzhaft handfeste Returns irgendwann einmal, spätestens zu Beginn der 70er mit wachsenden Koteletten und Schlaghosen zum ausdrücklichen Tabu erklärt wurden. Und wenn sich der Nikolaus bei den Eltern beschwert, antworten die bloß lapidar: „Ich habe keine Ahnung, woher mein Goldstück solche Ausdrücke kennt – du Arsch!“ Es sind diese Situationen im Leben, in denen man einen konservativ sozialpolitischen Ruck verspürt. Schließlich gibt es Schlimmeres als rotzfreche Gören. Ihre Eltern beispielsweise.
Wenn man als Gelegenheitsbartträger schlussendlich seinen Süßkram ans Kind gebracht hat, lehnt man sich geschafft am Stammtisch zurück und gönnt sich einen Herz erwärmenden Glühwein. Und sinniert über eklatantem Mangel an Anstand und einen lieb gewonnenen, verschwindenden Nimbus nach. Früher, in längst vergangenen Tagen, reichte der rote Mantel, eine voluminöse Gestalt in Coop mit Opernbass a la „ich bin dein Vater“ und schon hatte man die Kleinen im Sack. Nicht wörtlich, natürlich. Heute schweifen erschöpfte Gedanken ins Tierreich ab. Der Kuckuck macht das schon nicht so verkehrt. Weg mit dem Ei zur Fremdaufzucht und weiter auf die Fitz. Sollen sich andere mit der nervenden Brut herumschlagen. Eltern beispielsweise. Oder das Jugendamt. Oder die Politik. Nein, Gott bewahre, bitte nicht die Politiker. Schlechte Vorbilder finden sich auch in der näheren Umgebung.
In diesem Sinne,
Euer Schmierfink