Mit drei Treffern in Unterzahl wendet Abtswind im letzten Moment die Niederlage ab

FC Lichtenfels – TSV Abtswind 3:3 (2:0)

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Was für ein Spiel! Was für ein verrücktes Ende! Lange Zeit sieht der TSV Abtswind wie der sichere Verlierer aus. Aufsteiger und Außenseiter FC Lichtenfels profitiert mit frenetischen Zuschauern im Rücken von seiner Heimstärke und noch mehr von den Fehlern des Gegners. Geschwächt durch einen Platzverweis, packt Abtswind der Mut. Leidenschaft und Risiko werden in allerletzter Sekunde mit dem Ausgleich belohnt.

Als der Fisch verspeist und das ein oder andere Bier getrunken war, wurde manchem erst klar, was sich ein paar Stunden zuvor fünfzig Kilometer weiter zugetragen hatte. Im Gasthaus Dellermann in Oberharnsbach aß die Mannschaft des TSV Abtswind mit Funktionären und Fans gemeinsam zu Abend. Es gab Karpfen mit gemischtem Salat. Die Stimmung war ausgelassen. Wie so oft wenn sich der Tross auf der Rückreise von einem Spiel im Oberfränkischen befand, kehrten die Abtswinder hier an der Bundesstraße 22 ein. So auch nach dem letzten Auswärtsauftritt des Jahres beim FC Lichtenfels. Für Jürgen Endres sind solche Mannschaftsessen immer Heimspiele. Die Gaststätte gehört seinen Eltern. An diesem November-Samstag kam der Abtswinder Mittelfeldspieler besonders gerne heim. Zweieinhalb Tore waren auf sein Konto gegangen. Damit hatte er der Mannschaft im letzten Augenblick das Unentschieden gerettet. Zweieinhalb Tore? Auch das gibt es. Beim Treffer zum 3:3 in der 90. Minute war nicht ganz klar, wer denn nun dem Ball den entscheidenden Impuls mitgegeben hatte. „Das war undefinierbar“, meinte Endres unmittelbar nach dem Schlusspfiff. Schiedsrichter Christian Tauscher notierte den 25-Jährigen als Schützen. Später bei Karpfen und Bier reklamierte Nicolas Wirsching das Tor für sich. „Egal“, sagte Endres. „Hauptsache drin.“ Die Abtswinder hatten damit das nahezu Unmögliche möglich gemacht. Mit einem Mann weniger auf dem Feld schossen sie drei Tore und holten in einem ereignisreichen, hitzigen Gefecht in den letzten Minuten den 1:3-Rückstand auf.

„Ich habe in der Pause zur Mannschaft gesagt: Wenn ihr das dreht, seid ihr richtig gut“, erzählte Abtswinds sichtlich gelöster Trainer Petr Skarabela. Mit einer Energie- und Willensleistung entriss seine Elf dem Aufsteiger Lichtenfels den schon sicher geglaubten Sieg, für den sich das Unentschieden wie eine Niederlage anfühlte. Abtswinds Manager Christoph Mix hatte am Donnerstag in der Spielersitzung Leidenschaft von den Akteuren gefordert. Und die hatte er spätestens im zweiten Durchgang, besonders in der Schlussviertelstunde zu sehen bekommen, als die Ereignisse so dicht waren, dass in der Rückschau manche Details in der Erinnerung verschwammen. Was dagegen offensichtlich war: Petr Skarabela versuchte es nach dem erfolgreichen Experiment vor zwei Wochen in Höchberg erneut mit einer Dreierabwehr. Die Überzahl im Mittelfeld hätte sich Frank Hartlehnert früh zunutze machen müssen. Als er bereits an Lichtenfels’ Schlussmann Jan Hetzel vorbeigezogen war, schob er das Leder neben das leere Gehäuse (5. Minute). Die vertane Chance schwirrte dem schnellen Linksaußen offenbar noch im Kopf herum. Jedenfalls fehlte Hartlehnert im Gegenzug in der eigenen Hälfte, um die Flanke von Lukasz Jankowiak zu unterbinden. Steffen Hönninger hielt die Stirn hin, und der Außenseiter führte mit 1:0 (6.).

Da schlägt der Ball ein: Der Lichtenfelser Daniel Oppel (rotes Trikot) kommt zum Schuss. Die Abtswinder Carl Murphy (von links), Adrian Graf, Torhüter Florian Warschecha und Thilo Wilke sind nur Statisten.

Wenn nur drei Mann hinten verteidigen, müssen die Leute auf den Flügeln mehr als sonst nach hinten arbeiten, um die Räume geschlossen zu halten. Was gegen Höchberg funktionierte, haperte diesmal. „Die Dreierkette an sich war nicht das Problem“, erkannte Skarabela. „Es lag an individuellen Fehlern auf den Außenbahnen.“ Thilo Wilke, Abtswinds Mann auf rechts, ließ sich beim 0:2 von Daniel Oppel verladen. Dessen Schuss schlug an die Latte und Adrian Graf gegen die Schulter – Eigentor (34.). Abwehrrecke Graf, der zuletzt so überzeugt hatte, fand diesmal nicht zu seinem Spiel. Gegen den Lichtenfelser Steffen Hönninger, immer wieder Anspielstation bei hohen Bällen, konnte er sich zu selten behaupten – und schwächte sein Team per Platzverweis Ende der ersten Hälfte. Graf hatte sich anstecken lassen von den Emotionen auf der Tribüne, die aufs Spielfeld schwappten, weil die Ränge so nah an den Rasen reichen, dass Trainer und Wechselspieler keine eigenen Bänke haben und direkt zwischen den Zuschauern sitzen müssen. Als nach einer verbalen Unsportlichkeit ein Foulspiel an Hönninger folgte, sah der Abtswinder Verteidiger Gelb-Rot. Auch wenn Abtswind in Rückstand lag, war man nicht chancenlos. Im Gegenteil. Peter Mrugalla steuerte zweimal mit Tempo in den Strafraum. Zwei Möglichkeiten in der 14. und 30. Minute ließ er dabei liegen. Nicolas Wirsching köpfte ins Netz, stand dabei allerdings im Abseits (29.). „Das war eine verkehrte Welt“, sagte Petr Skarabela. „Eigentlich hätten wir führen müssen.“ Aber Lichtenfels, letzte Niederlage im September und sehr heimstark, machte sich die Fehler der Gäste zunutze.

Skarabela reagierte und brachte Daniel Hämmerlein, den knorrigen Defensiven, der nach der Umstellung auf die Viererkette die Bewachung von Steffen Hönninger übernahm. Die Maßnahme zahlte sich aus. Hämmerleins körperliche Präsenz und Kopfballstärke wirkte gegen den Lichtenfelser. Noch dazu rettete Hämmerlein das eigene Tor vor dem Kopfball Niklas Luleis, als Keeper Florian Warschecha durch den Sechzehner irrlichterte (57.). Abtswind machte nach dem Seitenwechsel trotz Unterzahl das Spiel, doch die Möglichkeiten zum Anschluss blieben vorerst aus. Pascal Kamolz letztmals gesperrt, Jörg Otto verletzt, und dann verweigerte auch noch der treffsicherste Abtswinder Steffen Barthel den Abschluss, als er Peter Mrugalla bedienen wollte, statt selbst abzuziehen (74.). Die Schlussviertelstunde war eingeläutet. Es ging Schlag auf Schlag. Manuel Aumüller setzte den Ball freistehend über die Latte (76.). Der eingewechselte Abtswinder Michael Herrmann, der die Partie belebte, schlug eine Ecke. Der abgewehrte Ball fiel Jürgen Endres auf die Brust. Volley schlug sein Schuss ans Kreuzeck, von dort hinter die Linie: Anschlusstreffer (79.). Im nächsten Angriff der nächste Rückschlag: Lukasz Jankowiak stellte den alten Abstand wieder her (80.). Die Gäste gingen volles Risiko – und wurden belohnt. Jürgen Endres fand seinen kongenialen Partner in Nicolas Wirsching. Ihr Doppelpass setzte die Abwehr außer Kontrolle, dann zog Endres zum 2:3 ab (89.). Die Gäste spielten völlig entfesselt. Jona Riedel düpierte den Gegner, lupfte auf Endres. Der Ball flipperte zwischen Torwart, Pfosten und Torlinie. Irgendwann im Gewirr von Sekundenbruchteilen schaltete sich Nicolas Wirsching ein. Dann zappelte es im Netz (90.). Was für ein Spiel! Was für ein verrücktes Ende!

Michael Kämmerer

Abtswinds Peter Mrugalla legt sich ins Zeug.

Das Spiel in der Statistik

FC Lichtenfels: Jan Hetzel – Florian Goller (70. Christoph Mohr), Stefan Fischer (38. Niklas Lulei), Kevin Wige, Daniel Schardt – Markus Mex (90.+2 Armin Hatzold), Pascal Scholz, Manuel Aumüller, Daniel Oppel – Lukasz Jankowiak, Steffen Hönninger.
TSV Abtswind: Florian Warschecha – Carl Murphy, Adrian Graf, Przemyslaw Szuszkiewicz – Jonas Wirth, Thilo Wilke (46. Daniel Hämmerlein), Nicolas Wirsching, Jürgen Endres, Frank Hartlehnert (65. Michael Herrmann) – Steffen Barthel, Peter Mrugalla (82. Jona Riedel).
Schiedsrichter: Christian Tauscher (Nürnberg); Assistenten: Tamer Pineci (Nürnberg), Johannes Wellmann (Deutenbach).
Zuschauer: 150.
Gelbe Karten: Markus Mex, Lukasz Jankowiak, Florian Goller, Daniel Schardt, Christoph Mohr (Lichtenfels); Frank Hartlehnert, Nicolas Wirsching, Daniel Hämmerlein, Carl Murphy (Abtswind).
Gelb-Rote Karte: Adrian Graf (TSV Abtswind, 45.+1, Unsportlichkeit und Foulspiel).
Tore: 1:0 Steffen Hönninger (6.), 2:0 Adrian Graf (34., Eigentor), 2:1 Jürgen Endres (79.), 3:1 Lukasz Jankowiak (80.), 3:2 Jürgen Endres (89.), 3:3 Nicolas Wirsching (90.).

Stimmen zum Spiel

Petr Skarabela (Trainer TSV Abtswind): „Es war ein spannendes und gutes Spiel mit einem glücklichen Ende für uns. Die beiden Tore zum Schluss tun gut und sind wichtig für die Moral. In der ersten Halbzeit haben wir alles falsch gemacht. Steffen Hönninger und Daniel Oppel haben uns Probleme bereitet. Lichtenfels ist körperlich gut aufgestellt, spielt Kraftfußball und kommt über die Fitness. In der zweiten Halbzeit wollte der Gegner den Vorsprung nur verteidigen. Zur Pause habe ich von Dreierkette auf Viererkette umgestellt und Daniel Hämmerlein gebracht, der Hönninger neutralisiert hat. Uns haben der Rückstand und die Unterzahl zusammengeschweißt, so dass wir eine aussichtslose Situation gedreht haben. Deshalb überwiegt bei uns nach dem Spiel die Freude. Wie wir in der zweiten Halbzeit aufgetreten sind, war beeindruckend. Wir hatten siebzig Prozent Ballbesitz.“

Alexander Grau (Trainer FC Lichtenfels): „Das Unentschieden geht in Ordnung, auch wenn es sich nach den späten Gegentoren nicht gut anfühlt. Wir haben anfangs sehr effektiv gespielt, was bisher nicht unsere Stärke war. Mit unseren Mitteln haben wir gegen einen spielstarken Gegner das Beste herausgeholt. Uns liegt es, wenn der Kontrahent offensiv orientiert ist. Dann können wir die Räume für unser Umschaltspiel nutzen. Gegen Spitzenteams sehen wir in der Regel nicht schlecht aus. Jetzt müssen wir auch Leidenschaft zeigen gegen Mannschaften, die hinter uns stehen. Mittlerweile sind wir sehr schwer zu schlagen, auch wenn nicht immer ein Dreier herausspringt. Nach achtzehn Jahren spielt der Verein mal wieder in der Landesliga. Kaum einer von uns hat Erfahrung in dieser Klasse. Nach einem schwachen Saisonstart haben wir uns stabilisiert und weiterentwickelt.“

Jürgen Endres (Mittelfeldspieler TSV Abtswind): „Schon im Hinspiel war zu merken, dass Lichtenfels unsere Defensive stark gefordert hat. Nicht umsonst haben sie Forchheim bezwungen. Wenn Frank Hartlehnert nach fünf Minuten das 1:0 schießt, läuft das Spiel in eine ganz andere Richtung. Die Chancen des Gegners sind erst durch unser Verschulden entstanden. Die Spielweise der Lichtenfelser war darauf ausgelegt, den langen Ball auf Steffen Hönninger zu bringen. Besonders auf den Außenbahnen lief es bei uns nicht gut. Dort haben wir nicht in die Zweikämpfe gefunden. Nach dem 1:3 habe ich nicht mehr geglaubt, dass wir Zählbares mitnehmen. Die Einwechslung von Michael Herrmann hat sich gelohnt; er hat sofort Unruhe gestiftet. Ich persönlich schiele nicht mehr auf die Mannschaften vor uns. Das bringt nichts. Wenn wir uns keinen Druck machen, spielen wir befreiter.“

Die Abtswinder Adrian Graf (links) und Carl Murphy kümmern sich um den Lichtenfelser Daniel Oppel (rechts).

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